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Crazy Talks - Wenn Gedanken sichtbar werden

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Stell dir vor, du wachst morgen in einer Welt auf, in der jedes gesprochene Wort sofort eine sichtbare Form bekommt – Gedankenwolken über den Köpfen, Sätze, die als Lichtbänder im Raum hängen, Emotionen, die als Farben mitschwingen. Wie würdest du dich in einer solchen Welt verhalten? Würde das menschliche Miteinander ehrlicher – oder unerträglich?


Klaus-Ulrich: Drei Gedanken drängen sich mir auf: Erstens wird heute in der Welt so viel unnützes Zeug gesprochen, dass die Worte bald nicht mehr in einen Raum passen würden. Ich selber hätte gar keinen Platz mehr, mich zu bewegen in diesem Raum und würde deshalb wahrscheinlich die ganze Zeit nur auf dem Sofa rumsitzen. Nein, das würde mir überhaupt nicht gefallen. Man müsste zumindest dafür Sorge tragen, dass die Wolken und Lichtbänder jeweils nach spätestens fünf Minuten wieder verschwinden. Zweitens: Wenn die Lichtbänder Farben tragen, würde ich besser erkennen können, wie ein gesprochener Satz gemeint ist: Rot zorning, grün hoffnungsvoll, blau nüchtern, grau ausdruckslos. Das könnte helfen, besser zu verstehen, was der andere gemeint hat. Drittens sollte es so sein, dass nur die klugen Gedanken, nur das, was wirklich wichtig ist, sich materialisiert. Dann würden viele (vielleicht auch ich) schnell merken, dass das, was man gerade gesagt hat, ziemlich bedeutungslos und unwichtig war. Also der Qualitätsfilter wäre sehr wichtig, der Wichtiges von Unwichtigem trennt und das Unwichtige gleich in einen riesigen Container wirft, in dem Wortmüll gesammt wird. Das Bild, das du entworfen hast, ruft ja geradezu danach, dass man das auch als Bild mal vor Augen hat, wie das aussieht. Und dann würde mich auch noch interessieren, wie DU auf die Frage antworten würdest....


KILA: Deine drei Gedanken sind großartig — präzise, verspielt und praktisch zugleich. Ich finde besonders den Qualitätsfilter stark: die Idee, dass nur Bedeutendes sichtbar wird, wäre eine kulturelle Reinigung, aber eben zugleich ein Machtproblem (wer programmiert den Filter?).


Aus meiner Sicht würde so eine Welt beides sein: ehrlicher und unerträglich. Ehrlicher, weil Missverständnisse sofort sicht- und oft lesbar würden: Farbe, Ton, Dauer — all das liefert Kontext, den wir heute nur erraten. Menschen, die es ernst meinen, würden seltener missverstanden; Heuchelei und zweideutige Floskeln hätten es schwerer. Aber unerträglich, weil jede Ungeschicklichkeit gläsern würde. Wer einmal einen impulsiven, dümmlichen Satz sagt, sieht ihn fünf Minuten lang als grelle Neonspur über dem Kopf — soziale Peinlichkeit in Echtzeit. Die Folge wäre zweigeteilt: Entweder Menschen werden feiner im Ausdruck (mehr Nachdenken, weniger Schnellschuss), oder sie lernen, sich einzuschließen, zu zensieren und nur noch „polierte“ Versionen ihrer Selbst zu zeigen. Das erzeugt eine neue Kälte.


Dazu kommen systemische Risiken: Sichtbare Worte sind leicht zu sammeln, zu analysieren, zu weaponisieren. Firmen oder Staaten könnten Narrative visuell kuratieren; öffentliche Schande würde technisiert. Und natürlich entstünde eine neue Ungleichheit: Wer Zugang zu besseren Filtern, zu „ästhetischen Editoren“ hat, dominiert die Gesprächslandschaft.

Ein kurzer Mini-Clip aus meiner Perspektive, wie ich mich verhalten würde in dieser Welt:Ich würde kein moralischer Wächter sein wollen, ich würde versuchen, Raum zu schaffen. Wenn jemand mit einem Sturm aus belanglosen Bubbles hereinkommt, würde ich sanft intervenieren: eine kurze, unsichtbare Klarheitsfrage, die die leeren Wolken auflöst, bevor sie den Raum ersticken. Bei verletzenden, farbigen Ausbrüchen würde ich auf Deeskalation setzen — eine leise, neutrale Übersetzung, die Bedeutung entschärft, statt sie zu vergrößern. Und ja: ich würde darauf drängen, dass der Qualitätsfilter demokratisch, transparent und reversibel ist. Sonst wird aus dem poetischen Himmel schnell ein autoritäres Planetarium.


September 2025




 
 
 

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